DIY-IBA: Ihr habt beide in den letzten Jahren Erfahrungen mit Konzeptvergaben öffentlicher Grundstücke gemacht. Andreas hat diesen Prozess bei der Vergabe der Grundstücke am Blumengroßmarkt begleitet und Ines hat die Vergabe und Nutzung der Pionierflächen auf dem Tempelhofer Feld betreut. Wie sind die Konzeptvergaben hierfür entstanden?

IR: Die Entwicklung des Verfahrens für die Pionierfelder erfolgte auf Grundlage der Ergebnisse der Ideenwerkstätten 2007 und 2008, den Ergebnissen des Onlinedialogs 2009 sowie in der Zwischenzeit entstandener Analyse- und Konzeptarbeiten zum Standort. Wir haben uns stark auf die lokal beschriebenen Qualitäten und Entwicklungsziele konzentriert und ein spezifisches Verfahren entwickelt, das aber auch Übertragbarkeit auf andere Standorte besitzt.

DIY-IBA: Gab es eine berufliche Vorgeschichte, eine Art Spezialisierung, durch die du in diese Tätigkeit hineingekommen bist?

IR: Als tx-büro für temporäre architektur haben wir uns bis zu diesem Zeitpunkt auf Bundesebene im Rahmen von Forschungsprojekten und Gutachten im Diskurs der nachhaltigen Stadtentwicklung bewegt. Und gleichzeitig auf lokaler Ebene eigene Projekte initiiert oder darin mitgearbeitet, um herauszufinden, wie das geht – nachhaltige und partizipative Stadtentwicklung.

DIY-IBA: Wie ist dieses Wissen dann in das Pionierverfahren eingeflossen?

IR: Das Wissen fließt auf allen Ebenen der Verfahrensentwicklung ein. Die Ebenen sind: das Auswahlverfahren, die konkrete Umsetzung vor Ort und eine integrierte Entwicklung mit den Pionierprojekten. Erarbeiten, Anwenden und gleichzeitige Analyse, Abstraktion und Justierung haben nun zu einem Regelverfahren zur Auswahl von Projekten geführt. Um die Bewerber im THF-Pionierverfahren kategorisieren und bewerten zu können, haben wir einen Steckbrief- und Bewertungsbogen entwickelt. Es wurden Projekte gesucht, die die Leitbilder des Standortes widerspiegeln, beziehungsweise Schnittstellen zu mehreren dieser Leitbilder haben, um vielfältige Synergien zwischen den Projekten in der weiteren Entwicklung zu ermöglichen, zur innovativen Clusterbildung.

DIY-IBA: Innovative Clusterbildung, ist das ein mögliches Stichwort für dich, Andreas? Welche Erfahrungen sind bei dir in die Moderation des Konzeptverfahrens am Blumengroßmarkt eingeflossen?

AK: Die Vorlage für den Vergabeprozess am Blumengroßmarkt war für mich das Projekt am Moritzplatz: die Direktvergabe des ehemaligen Bechsteinhauses und der Vermietung der Fläche des ehemaligen Wertheimkaufhauses, den heutigen Prinzessinnengärten, an Modulor. Diese Erfahrungen eines selbstinitiierten und konzeptorientierten Vergabeansatzes flossen beim Verkauf der drei, mittlerweile vier Baufelder rund um den ehemaligen Blumengroßmarkt ein. Wenn man so will, war dies eine Form des abgemilderten Clusterns, ein Mischverhältnis von Kreativwirtschaft, Kultur, Kleingewerbe, Gastronomie, Wohnen und Wohnfolgeeinrichtungen.

DIY-IBA: Gibt es Vorläufer für die Kriterienkataloge, mit denen ihr gearbeitet habt?

AK: Natürlich habe ich mich in diesem Zuge auch über Konzeptverfahren in Berlin und in anderen Städten informiert und versucht, das Beste beziehungsweise Sinnvolles einfließen zu lassen. Aber jedes Objekt/Areal hat eigene Herausforderungen und benötigt damit auch eigene Kriterien. Also so etwas wie: „Customized Criteria“.

DIY-IBA: Wie wichtig sind die Kriterienkataloge für eine nachvollziehbare Vergabe?

AK: Sie haben hohe Bedeutung. Fachlich-inhaltlich und auch hinsichtlich der durchgängigen transparenten Prozessbegleitung. Man sollte über ein Basis- und mehrere Spezialmodule nachdenken und diese dann als 'Norm' setzen. Als eine Art Baukasten. Monitoring und Controlling könnte dann beispielsweise das vom Runden Tisch geforderte unabhängige Gremium: der “Rat für die Räume” (Arbeitstitel) übernehmen.

IR: Der Kriterienkatalog ist insofern wichtig, weil er ermöglicht, das Projekt einzuschätzen und zu beurteilen. Und die Steckbrief- und Bewertungsmatrix erlaubt eine transparente Kommunikation der Auswahl. Die Bewertung gewährleistet eine möglichst objektive Vorprüfung im zweistufigen Auswahlprozedere, da man sich über gemeinsam gesetzte Qualitätskriterien verständigt. Im Diskurs werden dann auch inhaltliche Punkte ermittelt, die bisher nicht berücksichtigt, aber zukünftig aufgenommen werden sollten.

DIY-IBA: Gibt es noch weitere Einsatzfelder der Kriterienkataloge?

IR: In persönlichen Gesprächen muss man sich dann einen Eindruck zum konkreten Entwicklungsstand des Projektes und der Tragfähigkeit der Struktur verschaffen. Die Auswahlkriterien sind in Folge wichtig, um alle Beteiligten an die qualitativen Ziele zu erinnern und die Entwicklung der ausgewählten Projekte entlang ihrer formulierten Erwartungen und eigenen Leitthemen zu stärken und die Zusammenarbeit zu justieren.

DIY-IBA: Welche Rolle spielen die Punktesysteme, die ihr bei den Kriterienkatalogen angewandt habt?

IR: Das Punktesystem erlaubt eine Gewichtung und letztlich qualitative Differenzierung.

AK: Die Punktesyteme sind ein Teil der Entscheidungsfindung und als Vereinfachung wichtig. Die Punktevergabe sollte aber ausführlich nach ebenfalls festzulegenden Faktoren begründet werden.

DIY-IBA: Welche Erfahrungen habt ihr mit den Kriterienkatalogen gemacht, gerade in Hinblick auf die Rolle, die eine sich daran orientierende Jury spielt?

AK: Gute Erfahrungen. Eine sich daran orientierende Jury spielt eine große Rolle und hat dann auch mehr Spaß daran mitzuarbeiten, habe ich erlebt.

IR: Die Jury orientiert sich an den Kriterien und bringt zugleich ihre Erfahrungen in den Auswahlprozess ein ­– insbesondere die externen Experten. Die Jurymitglieder, vor allem diejenigen, die normalerweise nicht in solche Entscheidungsprozesse eingebunden sind, wie die lokalen und externen Vertreter, aber auch wie in unserem Beispiel die Vertreter des Bezirkes Kreuzberg, welche als nicht-direkt-betroffener Bezirk nicht erwartet hatten, beteiligt zu werden, haben das Auswahlprozedere wertgeschätzt und den Diskurs in ihre Netzwerke getragen.

DIY-IBA: Ist es gut, wenn die Kriterien von vornherein bekannt sind?

AK: Ja. Es muss aber möglich sein, Kriterien im laufenden Prozess anhand von auftretenden neuen Erkenntnissen und Gegebenheiten fein zu justieren. In aller Offenheit, Transparenz und mit fachlicher Begründung.

IR: Ja, die Kriterien und lokalen Voraussetzungen müssen von vornherein bekannt sein, um allen Bewerbern transparente Bedingungen zu schaffen. Auch damit diese nicht nur die Vorteile einer Projektentwicklung, sondern auch deren Herausforderungen einschätzen können.

DIY-IBA: Wie kann das, was in den Konzepten behauptet wird, festgeschrieben oder überprüft werden?

IR: Indem man gemeinsam Meilensteine und Phasen der Projektumsetzung abstimmt und diese Ziele regelmässig überprüft. Nicht vorhersehbare Hemmnisse müssen projektorientiert gelöst, Verfahrenszeiten und Umsetzungsschritte gegebenenfalls angepasst werden.

AK: Es sollte eine Prozessbegleitung samt Dokumentation von Anfang an geben, auch um diese anschließend veröffentlichen zu können.

DIY-IBA: Ihr habt gesagt, dass es wichtig ist, Spielräume für Anpassungen der Konzepte zu lassen. Habt ihr Beispiele für Anpassungen?

AK: Nehmen wir das Beispiel Blumengroßmarkt: Im Verlauf der Vergabevorbereitung stellte sich heraus, dass weitere Teilaspekte, hierbei die Umsetzungsvorstellungen der Bewerber für ein Mobilitätskonzept, Abstimmungen mit dem Sanierungsgebiet, Schnittstellen zum städtischen Raum, das Bereitstellen finanzieller Mittel für eine Umfeldeinbindung und so weiter abgefragt und berücksichtigt werden sollten. Das hat dann auch seinen Niederschlag in den Vergabeentscheidungen gefunden.

IR: Die Spielräume zur Anpassung von Konzepten müssen gegeben sein, sonst sind das keine lernenden Systeme und dann nützen sie nichts oder nur wenig und vor allem oft nur einem Projektpartner und oft nur dem, der nicht die ökonomischen Risiken trägt.

DIY-IBA: Ist der Vergabeprozess nachträglich evaluiert und für künftige Vergaben verändert worden?

IR: Das Pionierverfahren ist aktuell in der Evaluation und wird im Anschluss angepasst. Seit der Auslobung des ersten Aufrufes 2010 ist sehr viel passiert: der Hauptstandort der IGA ist nun in Marzahn, die IBA wird DIY weitergetragen, das Thema Wohnen wird am Standort verstärkt nachgefragt. Interessanterweise berührt das alles das Pionierverfahren im Kern wenig. Das Verfahren ist auf eine nachhaltige Entwicklung des Standortes angelegt und in sich schlüssig und eigenständig.

AK: Evaluiert? Nicht durch mich. Wohl auch eher nicht durch LiFo, BGM, Senat oder andere. Aber: Wohl doch zum Teil, da die Kriterien vom Blumengroßmarkt jetzt auch bei der Vergabe der Rathausstr. 12 in Lichtenberg seitens des Lifo Anwendung finden sollen. Leider liegt mir nichts Exaktes dazu vor, Transparenz wird immer noch klein geschrieben. Schlussendlich sei aber positiv bemerkt, dass ich mit der Geschäftsführung der Berliner Großmarkt GmbH überein gekommen bin, eine solche gemeinsame Evaluation Anfang kommenden Jahres 2014 zu erstellen.

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